LITERATUR
Mittwoch, 29. Mai 2002
Bayern Seite 16 / Deutschland Seite 16 / München Seite 16
Wie reich „die Kirche" in Deutschland ist, das können die evangelische und die katholische Kirche noch nicht einmal selber sagen. Einmal, weil dies beim besten Willen nicht genau herauszufinden ist: Bistümer und Landeskirchen, Caritas und Diakonie, Krankenhäuser, Jugendeinrichtungen haben ihre eigenen Etats, ihre eigenen Besitztümer, ihre eigenen Rücklagen. Der kirchliche Reichtum ist aber auch schwer zu beziffern, weil die Kirchen zwar seit Jahren detaillierte Haushaltspläne vorlegen, dann aber doch nicht an einem genauen Blick in Vermögensverhältnisse interessiert sind.
Mit Carsten Frerk hat sich wieder einmal einer daran gemacht, den Reichtum der Kirche zu beziffern; er sei der erste seit 30 Jahren, sagt er. Tapfer hat Frerk versucht, nichts, aber auch gar nichts auszulassen: Kirchensteuer, Staatsleistungen, Zuschüsse für Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Erträge von Brauereien und Kloster-Brennereien, kirchlichen Gemüsezüchtern und Kerzenziehern inklusive – eine Fleißarbeit.
Dennoch finden sich viele gute Informationen in dem Buch. Zum Beispiel, dass nicht Köln die – pro Katholik – reichste Diözese ist, sondern Limburg. Oder dass die Kirchensteuer, allen oberhirtlichen Alarmmeldungen zum Trotz, in den vergangenen Jahren nicht dramatisch zurückgegangen ist. Frerk listet auf, wie viele staatliche Zahlungen es über die Kirchensteuer hinaus gibt. Er beleuchtet, dass die Kirchensteuer weitgehend in die Seelsorge geht und die kirchliche Sozialarbeit sich großteils über die Krankenkassen, über Bund, Länder und Gemeinden finanziert.
Die Zahlen lassen den Umfang des „Sozialkonzerns Kirchen“ erahnen, wobei der Autor nicht so gern erzählt, dass es Gründe für dieses Subsidiaritätsprinzip gibt: Viele Deutsche wollen ihre Kinder in den christlichen Kindergarten schicken, sich im christlichen Altenheim pflegen lassen.
Die Grenze der Untersuchung liegt aber woanders: Frerk hat recht gut die Einnahmen der Kirchen erfasst – wie reich sie sind, ist damit nicht gesagt. Schon bei der Frage, über welches Vermögen die Kirchen verfügen, ist der Autor auf grobe Schätzungen angewiesen – weil wohl niemand den Landbesitz der Kirchengemeinden auch nur annähernd erfassen kann, aber auch, weil viele Kirchengebäude und -grundstücke nicht einfach verkauft werden können, also kein verfügbares Vermögen sind.
Vor allem aber untersucht der Autor nicht die Ausgaben der Kirchen. Wie nutzen Deutschlands größte verfasste Institutionen das Geld, dass sie in so großem Umfang einnehmen? Wie jede andere Organisation – oder nutzen sie Geld und Macht tatsächlich im Sinne ihres Gründers? Spekulieren sie mit Grundstücken – oder stellen sie diese in Erbpacht zur Verfügung, damit Familien günstig ein Häusle bauen können? Entsprechen kirchliche Arbeitsverhältnisse der eigenen Sozialethik – oder sind sie auf Kostenminimierung und Gewinnmaximierung ausgerichtet? Stellen kirchliche Unternehmen ökologisch sinnvolle Produkte zu fairen Preisen her? Fördern die Kirchen den fairen Handel mit der Dritten Welt, oder parken sie ihr Geld mündelsicher und ertragsgarantiert auf der Bank?
Hier ist die Geld- und Anlagepolitik der Kirchen oft widersprüchlich, Beispielhaftes steht neben Kritikwürdigem, wenn irgendwo eine kirchenunabhängige Untersuchung aussteht, dann hier. Da hat Frerk eine Chance vergeben – vielleicht, weil dies zu beschreiben schwieriger gewesen wäre, als anhand zahlreicher Tabellen zu belegen, dass „die Kirchen“ irgendwie ganz schön viel Geld einnehmen.
MATTHIAS DROBINSKI
CARSTEN FRERK: Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland, Alibri- Verlag, Aschaffenburg 2001. 435 Seiten, 24,50 Euro.
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